Vor einer Woche ist mein Großvater gestorben. Und ich habe darüber nachgedacht, was ich an ihm mag. Angeregt von einem Kommentar meiner Mutter: Er hat uns viel gegeben. Mir fiel es schwer, ihr zuzustimmen. Im ersten Moment. Denn in den letzten Jahren haben andere viel getan, gegeben. Für sein Leben, für sein Wohlergehen. Sein Alter hat sich bemerkbar gemacht, vor allem körperlich. Sein Geist war nach wie vor wach. Und manchmal schmerzte es zu sehen, dass er gern selbständiger geblieben wäre. Aber im Alltag brauchte er immer mehr Unterstützung.

Was hat er denn nun gegeben? Andere, die ihn nicht so gut kennen, würden wohl seine beruflichen Leistungen zitieren. Er war Zimmerer und hat viele Dachstühle gebaut. Dafür ist er bekannt, fast schon eine Legende in unserer Heimat. Meine deutliche Erinnerung an ihn, neben der der letzten Jahre, ist die aus Kindertagen. In seinem grünen Trabi machten wir ein um andere Mal kleine Ausflüge. Wir hielten dann oft an einer Eisdiele. Und er kaufte mir ein Eis. Irgendwann sagte er, ich sei groß genug und könne mir das Eis von nun an selbst kaufen, drückte mir eine Mark in die Hand. Als ich sagte, dass ich dann auf das Eis verzichten würde, wollte er das nicht akzeptieren. Versuchte mich stattdessen zu überzeugen, doch jetzt dieses Eis, das ich ja so gern wollte, endlich zu kaufen. „Du alte Zulle, na los, geh schon!“ Redete er auf mich ein. Ich blieb trotzig. Oder wir fuhren in den Wald. Zum Pilze sammeln. Manchmal auch in die Blaubeeren. Banden uns kleine Blechtassen mit Paketschnur um den Bauch. Die Kunst Blaubeeren mit dem Blaubeerkamm zu pflücken, habe ich bei ihm bewundern können. Ich hatte das nach einigen Versuchen aufgegeben. Später habe ich keine einzelnen Erinnerungen mehr an ihn, oder gemeinsame Aktivitäten. Eher im Zusammenhang mit der Familie. Außerdem rückt die Erinnerung an meine Großmutter in den Vordergrund, die vor etwa 10 Jahren verstorben ist. Sie war sehr präsent in ihrem Wesen. Und wie die Frauen unserer Familie einfach sozialer, und empathischer. Und das verbinde ich heute mit einem Geben.

Nur selten habe ich tiefere Gespräche mit meinem Großvater geführt. Nie hat er wirklich gezeigt, was ihn bewegt. Und vielleicht war es das: Einige Male habe ich bei ihm eine echte Demut vor dem Leben gespürt. Das war zum Beispiel beim Abschied meiner Großmutter, seiner Frau. Ich weiß nicht mehr genau, was er sagte. Aber sinngemäß war es: Das Leben annehmen, wie es auch kommt, solange es da ist. Ist doch selbstverständlich. Das fand ich stark und daran denke ich immer wieder. Wie er das bis zuletzt ausgedrückt hat, indem er da war. Standhaft blieb als letzter der Großelterngeneration mit fast 93 Jahren.

Ich bin oft auf der Suche aktiv zu geben und dabei, mir eine Art Anerkennung und Wertschätzung verdienen zu wollen. Vielleicht ist aber die Antwort, die ich suche – oft vergraben unter Erwartungen oder Enttäuschungen, einem Aufrechnen – ganz einfach: Es ist Liebe. Eine Verbindung und Zuneigung, die nicht an Bedingungen geknüpft ist. Die aus einer Art Verwandtschaft, gemeinsamen Erlebnissen, Erfahrungen, einer Geschichte entstanden ist und Bestand hat. Gut, dass ich mal wieder daran erinnert werde.

Als ich in der Heimat war, bin ich zuerst in Großvaters Wohnzimmer gegangen und habe mich aufs Sofa gesetzt, wo er immer saß. Habe seine Anwesenheit, die noch vor kurzem den Raum mit Leben und Geschäftigkeit gefüllt hat, und der Menschen um ihn herum, nachgespürt. Und geweint.


Dazu spielt:


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