Der Schöne und das Ekeln
Ein Besuch im Disgusting Food Museum Berlin
Wir waren verabredet, weil Martin mir etwas übergeben wollte. Also trafen wir uns an seinem aktuellen Arbeitsplatz, dem Disgusting Food Museum, bei dem er als Direktor fungiert. Martin A. Völker kenne ich als Autor, weiß aber ebenso, dass er durchaus experimentierfreudig und aufgeschlossen ist, was kuriose Projekte und Ideen betrifft. Er hatte gar nicht viel Zeit. Eigentlich.
Denn schnell gerät er ins Schwärmen, als er mir von der Ausstellung erzählt, die er mit aus der Taufe gehoben und weiterentwickelt hat. Nach dem schwedischen Modell in Malmö, das die Ekel-Wanderung erfunden bzw. als erste dieses Konzept kommerzialisiert hat. Dabei sieht es in dem Berliner Museum überraschend zivilisiert aus, stelle ich auf den ersten Blick fest. Aufgeräumt und offen, ein modernes Hipster-Museum in Berlin-Mitte eben. Martin lässt es sich nicht nehmen, mich zu einer Führung einzuladen.
Eine braune Wand ist das erste Exponat, mit der Farbe, die den meisten Menschen ungute Geschmacksgedanken versinnbildlicht, erklärt mir Martin. Das ist jetzt aber noch harmlos, finde ich.
Auf feinen Metall-Tischen, die an eine vornehme Kantine erinnern, sind die weiteren Exponate abgestellt. Angeordnet mit gebührendem Abstand unter Vitrinen. Ein kurzer Beschreibungstext über die Herkunft und Geschichte des Exponats macht auch den Abgehärteten klar: Hier geht’s ans Eingemachte! Den Rest erledigt der Kopf. Ich schauere lustvoll angewidert. Eine Trigger-Warnung gibt es inzwischen auf der Webseite des Museums. Denn hier sind schon junge Menschen in Ohnmacht gefallen. Dafür braucht es nur einen Tisch und Vorstellungsvermögen, das ich mir zum Glück auf Distanz halten kann…
Was mich am meisten fasziniert ist die ganze Aufklärungsarbeit, die hier geleistet wird. Von wegen Ekel, meint Martin, der ist vor allem gesellschaftlich antrainiert. Im Museum werden kulturelle Essgewohnheiten gegenübergestellt: Die chinesische Delikatesse Hund, neben “unser” Schwein. Videoschnipsel helfen dabei nach und erweitern das Ekel-Repertoire um den Faktor Tier-Haltung.
Zum Nachtisch gibt es modernen Ekel: Der künstlich basierte. Eine gute Idee, sich mal zu überlegen, wieviel Plastik wir in uns reinstopfen und wie widerlich das eigentlich ist.
All das dient anscheinend nur der Vorbereitung, denn zum Schluss streckt mir Martin eine Heuschrecke entgegen. Ich denke: Muss ich wirklich? Und frage Martin sicherheitshalber, ob ich das jetzt in meinen Mund stecken soll. Ja, lautet seine Antwort, auch nach mehreren Nachfragen. Und in meiner Vorstellung über den ganzen selbstverständlichen Überfluss und irgendwann gängige Essgewohnheiten möglicherweise ohnehin über Bord werfen zu müssen… schalte ich meinen Kopf aus. Ich konzentriere mich auf den neu vermittelten Inhalt, um mir dieses kleine Wesen einzuverleiben. Ohne Ekel. Martin wittert seine Chance und präsentiert mir anschließend einen Juni-Käfer auf dem Löffel…
Ich finde diese Herangehensweise unglaublich interessant, nicht nur den Ekel an der Wurzel zu packen, sondern auch die eigenen Gewohnheiten und Vorurteile zu hinterfragen. Und gehe raus, beseelt, was ein Museum dieser Art zu den aktuellen Debatten über Nachhaltigkeit, Toleranz und Miteinander beitragen kann.
Na, Appetit bekommen?! Dann lasst es euch schmecken: https://disgustingfoodmuseum.berlin/
Dazu spielt:
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