Empathie für alle
Über eine weibliche Stärke
Ich finde, wir reden viel zu wenig über weibliche Stärken. Es sind Stärken, die helfen, Gesellschaften zusammenzuhalten und zueinander zu bringen. Eine dieser Stärken ist Empathie: unser Einfühlungsvermögen oder die Gabe, sich in andere hineinzuversetzen. Das schließt ein, zu respektieren, dass andere Menschen Erfahrungen gemacht haben, die ich nicht nachempfinden kann, weil ich sie selbst nicht gemacht habe. Der letzte Punkt ist mir erst vor kurzem klargeworden im Zuge der Debatten um Geschlechteridentitäten und Rassismus.
Wenn ich schreibe, dass ich Empathie als weibliche Stärke begreife, schließt es nicht aus, dass Männer diese besitzen und dass es Frauen gibt, die empathielos sind. Ich glaube, das hat viel damit zu tun, wie wir aufgewachsen sind und in meiner Kindheit haben nur die Frauen in unserer Familie – getröstet, versorgt, umsorgt, Emotionalität gezeigt. Ich nehme es wahr in Gesprächen, dass Männer, jedenfalls in meinem Alter oder älter, weit weniger Berührungspunkte oder Umgang mit ihren eigenen Emotionen haben, geschweige denn, mit ihnen bewusst arbeiten.
In der konsumorientierten Gesellschaft werden weibliche Stärken bisher kaum thematisiert. Sie sind nicht käuflich und fallen auch aus dem Selbstoptimierungswahn raus. So lese ich bei meinen unregelmäßigen Instagram-Besuchen häufig von „Selbstliebe“ und dass ich mich abgrenzen soll von anderen. Selten steht da was, wie wir verantwortungsvoll innerhalb unserer Gemeinschaft leben können in einer Balance von Mitgefühl uns selbst gegenüber und gegenüber anderen.
Und mir fehlt eine solche Empathie auch in aktuellen Debatten.
Erst kürzlich ist mir das aufgefallen, als es um Thilo Mischke ging, der als neuer Moderator des Kulturmagazins ttt der ARD angekündigt wurde. Ich habe dieses Magazin bisher nicht geschaut und bin an diese Schlagzeile zufällig geraten: Eine Freundin hatte mir einen Artikel geschickt, in dem diese Personalentscheidung scharf kritisiert wurde, dann habe ich mir den Podcast zu dem Thema von „Feminist Shelf Control“ reingezogen und vor ein paar Tagen habe ich durch die Kommentarspalten unter dem Instagram-Post von ttt gescrollt, in dem die Redaktion um Zeit bittet, sich mit der Kritik auseinanderzusetzen und die Vorwürfe zu prüfen.
Die Vorwürfe wurden anhand einer früheren Buchveröffentlichung von Mischke und Interview-Aussagen aus der Vergangenheit gemacht. Was in der Diskussion daraus gemacht wurde, fand ich schon heftig. Ich finde, dieser Mensch kann gern kritisiert werden und es sieht so aus, als ob er Nachhole-Bedarf in Sachen Empathie hat, und bisher anscheinend wenig mit aufgeklärten Gesprächspartnern zu tun hatte. Aber ihn so krass an die Wand zu stellen? Was gibt Personen das Recht, so über eine andere Person zu urteilen, die sie nicht mal persönlich kennen? Ich habe eher das Gefühl, da wird ein Exempel statuiert und jeglicher Frust bezüglich bestehender Machtverhältnisse auf diese Person bzw. diese Personalfrage projiziert.
Diese Personalentscheidung wurde inzwischen revidiert, aufgrund dieses öffentlichen Drucks. Mich hat das schon ziemlich beschäftigt und ich habe mir den Interview-Podcast „Hotel Matze“ angehört, in dem Thilo Mischke Ende Oktober zu Gast war. Darin spricht er darüber, dass er aktuell eine Therapie macht und warum. Es ging nicht explizit um Geschlechterverhältnisse, aber er drückt sich darin respektvoll aus auch anderen Geschlechtern und Einstellungen gegenüber. Warum ihm keine Chance geben? Sowas ist mir lieber als verlogene Entschuldigungen, die in dem Zusammenhang immer wieder gefordert werden. Es wird meiner Meinung nach viel zu viel darauf gegeben, dass die Form stimmt. Dass sehr viele Menschen in ihrem Inneren längst nicht tradierte Rollenklischees hinter sich gelassen haben und es ein langer Entwicklungsprozess ist, dieses Thema anzugehen, wird dabei vollkommen ausgeblendet. Und überhaupt sind und bleiben Geschlechterverhältnisse komplex, weil es immer auch ein individuelles Aushandeln ist, wie wir miteinander umgehen wollen.
Genauso wurde die Redaktion sehr stark angegriffen, die diese Entscheidung getroffen hat, in dem bereits erwähnten Post auf Instagram. Dort wurde forsch kommentiert, wann jetzt mal endlich die Entscheidung zurückgenommen würde. Es war schließlich Weihnachten und Neujahr, da möchten doch auch alle eine kleine Auszeit, und Entscheidungen im Druck und ohne Innehalten zu treffen? Nun ja, meine Welt ist das nicht. Ich hätte gut gefunden, einen Gesprächstermin mit Thilo Mischke vorzuschlagen, und darin mit ihm die Kritik zu besprechen, zum Beispiel. Oder wie wäre ein Moderatoren-Doppel für das Kulturmagazin, mit einer anderen Person, die den Ansprüchen des Hochkultur-Publikums genügt? Das wäre doch mal ein interessantes Angebot.
Warum geben wir uns nicht den Raum, uns miteinander zu entwickeln und zu wachsen?
Ich habe in der Vergangenheit auch an mir bemerkt, wie ich ziemlich scharf auf Themen reagiere, wenn ein Mann beispielsweise sagt, so sind Frauen und das können die halt nicht. Merke aber gleichzeitig, dass dieser scharfe Ton, diese Selbstverständlichkeit, die ich in einigen Punkten habe, für andere anders ist, sich anders darstellt. Und auch wenn ich mir, mir gegenüber, eine Sensibilität wünsche und denke, dass ich doch jetzt lang genug Geduld hatte mit anderen und ich ebenso eine Geduld verdiene… führt meine Wut, jedenfalls an so einer Stelle, nirgendwo hin. Ansonsten bin ich eine Freundin des Nachfragens und natürlich, meine Meinung gegenüber anderen zu vertreten. Dafür muss ich aber nicht selbst beleidigend werden.
Mit einem Freund hatte ich lange so ein Thema, wir kamen nicht zusammen. Ich fühlte mich von ihm ständig provoziert und er fühlte sich nicht gesehen, wenn wir über die Geschlechterdebatte sprachen. Also, ich glaube, es gibt viele Männer, die von sich sagen, dass sie tolerant sind und keine Ansprüche stellen und in dieser ganzen Debatte um Geschlechtervielfalt keinen Platz sehen für sich, wie ich es bei meinem Freund empfand. Der Dis-Mann oder so. Da musste ich mir einmal Zeit nehmen, ihm wirklich zuhören, ihn ernst nehmen und ihn bestärken, sich unbedingt weiter einzubringen und dass er weiterhin gefragt ist. Natürlich. Ich hoffe, das uns das auch in Zukunft näher bringen kann.
Ein Kommentar unter dem weiter oben erwähnten ttt-Post über die Personalie Mischke hat mich angesprochen: Warum dieser Hass? (der Post und damit alle Kommentare wurde inzwischen gelöscht, daher kann ich ihn hier nur sinngemäß wiedergeben.) Genau dachte ich, Hass bringt uns nicht weiter, egal auf welcher Seite wir stehen.
Dazu spielt: Zeit für Zärtlichkeit
… aber, oder, und… – Schreib mir gern deine Gedanken und Erfahrungen: info@janaberwig.de