Es gibt verschiedene Räume mit verschiedenen Teams, die vorher zufällig zusammengewürfelt wurden. Jede Teilnehmerin, jeder Teilnehmer bekommt eine Spielanleitung. Aufgabe des Spiels lautet: Wahlstimmen der Wiederholungswahl in Berlin auszählen. Stichtag ist der 12. Februar 2023. Das Spiel ist zu Ende, wenn alle Stimmen vollständig ausgezählt sind. Alle Teams können gewinnen.

Warum gibt es nicht mehr Spiele, die eine sinnvolle Sache zum Ziel haben? Menschen bezahlen dafür, sich in einen Raum einschließen zu lassen, um den Ausgang zu finden. In dem Spiel, was ich beschreibe, werden die Spielenden entlohnt.

Ich bin schon ein wenig aufgeregt und freue mich, als ich mich Sonntagnachmittag auf den Weg mache nach Neukölln. Ja, Nachmittag. Ich wurde zur Briefwahl eingeteilt. Was für ein Segen, denke ich und respektvoll an die Wahlhelfenden an der Urne, die bereits seit 7 Uhr ihren Dienst angetreten haben und anschließend auch noch die Stimmen auszählen müssen.

Nur, das ich mich frage, was “OSZ” sein soll. Die Otto-Hahn-Schule mit der selben Adresse ist es jedenfalls nicht, vor der ich viele Menschen beobachte mit ihren Wahlbenachrichtigungen in der Hand. Aber ich finde es doch noch, das Oberstufenzentrum, wo viele Neuköllner Briefwahlzentren untergebracht sind.

Warum es gerade Neukölln geworden ist, hat einen simplen Grund. Als ich der Nachfrage eines Freundes gefolgt bin, mich zu engagieren, wurden nur noch in Neukölln Wahlhelfende gesucht, propagiert als “Mein Wunschbezirk”. Die meisten aus meinem Wahlhelfer-Team sind aus anderen Berliner Bezirken, so wie ich. Das erfahre ich aus der kurzen Vorstellungsrunde sowie die Rollen, die wir für diesen Tag einnehmen, nachdem alle in dem Klassenzimmer eingetroffen sind.

Ich habe mich als Schriftführerin gemeldet, und arbeite damit nicht zuletzt meine kindliche DDR-Vergangenheit auf. Denn damals wurde ich als Klassenbeste immer automatisch zur Gruppenratsvorsitzenden gewählt. Ich fand das gemein und unfair, ich fühlte mich den damit verbundenen Kommunikationsaufgaben nicht gewachsen. Und Stefanie Spank wurde immer zur Schriftführerin ernannt, dabei waren unsere Noten etwa gleichstark. Aber es wurde behauptet, sie hätte die schönere Handschrift.

Nun habe ich diesen Posten endlich ergattert, werde aber sofort ernüchtert, als ich mich mit der jungen Lehrerin bekannt mache, die meine Stellvertreterin gibt und mir gleich eine Schriftprobe präsentiert, die aus einem Schönschreibwettbewerb stammen könnte. Aber sie spricht mir Mut zu: Deine Schrift ist doch auch schön. Ich nicke.

Außerdem gibt es einen Wahlvorsteher und eine stellvertretende Wahlvorsteherin sowie sechs weitere Beisitzer, geschlechter- und altersdurchmischt. Wir stellen fest, dass wir alle Wahlhelfer-Neulinge sind. Das ist beängstigend wie entlastend zugleich. Ich glaube, ich habe kurz Sorge, dass das die Fehlerquote erhöhen könnte. Andererseits sind alle total heiß, diese Challenge gut zu meistern und Berlins Ruf als Wahlhauptstadt aufzupolieren. Die Bedienungsanleitung, die jeder und jede vorab zugeschickt bekommen hat, nehmen wir oft zur Hand. Es ist jeder Schritt genau aufgeschrieben, unklare Stimmzettelabgaben werden erläutert und wie wir damit umzugehen haben.

Unsere erste Aufgabe ist es, die Briefwahlumschläge zu öffnen und zu prüfen, ob neben dem verschlossenen Umschlag mit den Stimmzetteln, auch die Berechtigung zur Abstimmung, in Form eines unterschriebenen Wahlscheins vorliegt. Leider ist dieses Blatt sehr unübersichtlich (Info an die Berliner Regierung geht raus!), so dass es hier zu Missverständnissen kommt, wo eine Unterschrift hinkommt, und einige Briefe aussortiert werden müssen. Entsprechend können die zugehörigen Stimmzettel nicht zur Wahl zugelassen werden. Unklare Fälle werden per Abstimmung geklärt. Anschließend werden die verschlossenen Stimmzettelumschläge wieder in die Wahlurne bugsiert. Kurz nach 18 Uhr, nachdem auch die letzten Wahlbriefe angekommen sind, konnten wir mit dem Auszählen beginnen.

Das war eine Materialschlacht. Wie wir alle um den Tisch herumstanden, die Umschläge aufgerissen und die drei Stimmzettel auf verschiedenen Haufen gesammelt haben. Die Zweitstimmen wurden als erstes ausgezählt, und das Ergebnis zeitnah weitergegeben, um möglichst schnell erste Ergebnisse verkünden zu können.

Es waren einige Stimmzettel dabei, bei denen es unklar war, ob die Wahlabsicht eindeutig war. Also, im Grunde war die Absicht eindeutig, aber eben eine Abstimmung dafür nötig. Ein guter Zeitpunkt, um nicht erwünschte Wahlstimmen auszusortieren, ging es mir durch den Kopf. Tatsächlich favorisierten diese nicht sofort eindeutigen Stimmen, eine meiner Nicht-Favoriten-Partei, um es mal freundlich zu formulieren… Aber so funktioniert es eben nicht. Ich finde, eine Demokratie macht ja aus, dass die Vielfalt gewahrt wird, nicht betrogen wird, nur weil man mit einem Ergebnis nicht einverstanden ist. Das wurde mir nochmal bewusst.

Kurz nach 21 Uhr sind wir dann fertig, nach einer kurzen Prüfung durch das Bezirkswahlamt ist klar: Wir raus dürfen. Gewonnen!

Mein Vorschlag, – nicht zuletzt, weil es ja jetzt wieder Diskussionen über ein verpflichtendes soziales Jahr oder die Wiederaufnahme der Wehrpflicht gibt – Warum nicht mal kleiner denken. Zum Beispiel: Jeder Bürger und jede Bürgerin sollte mindestens einmal in seinem oder ihrem Leben, eine Wahlauszählung unterstützen.

Dazu spielt: Präsident der Welt


… aber, oder, und… – Schreib mir gern deine Gedanken und Erfahrungen: info@janaberwig.de