Was müssen das für Menschen sein? Die sich auf Straßen kleben, Kunstwerke beschmutzen, Privatjets ansprühen; die sich beschimpfen lassen, Tritte und Schläge aushalten, sich ohne Gegenwehr abtransportieren lassen; die sich selbst in Gefahr bringen, Gefängnis-Aufenthalte in Kauf nehmen… Die alles dafür tun, um öffentlichkeitswirksam mehr Klimaschutz von den Regierenden des Landes zu fordern und Menschen im Allgemeinen mit erwartbaren Klimaveränderungen konfrontieren, die unseren Alltag früher oder später stark beeinflussen werden.

Mich beeindruckt das: Dieser Mut, diese Entschlossenheit, dabei friedlich. Und eine Protestform, die in der scheinbar abgestumpften Gesellschaft überhaupt noch Anklang findet – wenn auch schief, auf den ersten Blick.

Ich war schon länger neugierig und so sprach mich die Ausschreibung sofort an: Live-Musik gesucht für ein Event der „Letzten Generation“. Es gab schon vorher eine Ausschreibung für eine Demonstration, da zögerte ich noch. Denn ich bin ein vorsichtiger Mensch und möchte nicht notwendigerweise zwischen Fronten geraten. Jedenfalls nicht, solange ich keine klare Haltung zu einem Thema habe. Eine Informations- und Vernetzungsveranstaltung – das sprach mich an. Ich sah es als Gelegenheit, mich einzubringen, mit dem, was ich zu geben habe und mir selbst ein Bild zu machen.

Die Zusage kam postwendend. Ich vermutete schon, dass meine Musik zwischen „Aufbruch und Niedergang“ – wie es der Autor Martin A. Völker so schön formuliert hat – zum Anliegen der „Letzten Generation“ passen würde. Sie luden Gäste und Interessierte in die Heilig-Kreuz-Kirche in Berlin-Kreuzberg ein, letzten Mittwoch. Ich erinnere diese Kirche von einigen Veranstaltungen des Diakonischen Werks, meinem früheren Arbeitgeber. Ein Ort, den ich als tolerant und aufgeschlossen wahrnahm, wie sich für diesen Anlass bestätigte.

Angekommen, wirkte alles ziemlich “normal”, nichts kam mir verdächtig vor. Natürlich war ich etwas verunsichert, ein paar Tage zuvor gab es Razzien bei Mitgliedern der “Letzten Generation” und ich fragte mich, welche Art kriminelle Energie hier brodeln würde. Aber es gibt eben die grenzüberschreitenden Aktionen auf der einen Seite, die für Aufmerksamkeit sorgen. Auf der anderen Seite ist da der Wunsch, eine größere Stimme zu bekommen und aufzuklären, den Klimaschutz voranzubringen. Es sind Menschen wie du und ich. Das stellte ich schnell fest.

Ich mochte das Do-It-Yourself-Prinzip. Alles einfach gehalten, auf das Wesentliche konzentriert. Keine Flyer und Gedöns, sondern handgeschriebene Platzkärtchen. In der Küche wurde geschnippelt, was das Zeug hält, damit die Gäste später auf die harten Fakten noch weiteres verdauliches zum Verdauen hatten. Denn das Rahmenprogramm, vor allem der Vortrag von Professor Schellnhuber ehemals Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, hatte es in sich! Zum Glück gab es sogar darin eine Perspektive. Perspektiven mag ich, da ja niemand die Zukunft kennt, auch wenn es noch so viele Vorhersagen und Prognosen gibt. Und weil wir Perspektiven unbedingt brauchen!

Anschließend, in verschiedenen Workshops konnten die Gäste mit den Engagierten der “Letzten Generation” näher ins Gespräch kommen. Ach, da war sie doch, die Polizei, vor der Kirche. Ich dachte, jetzt wurden wir erwischt beim… Unerlaubten Austausch?! Aber sie war wohl da, weil vor der Kirche zusätzlich ein Protestmarsch anstand. Und wir konnten uns weiter besprechen. Was mich brennend interessierte, ob die Haut an den Hände kaputt gehen würde, wenn sie sich auf die Straße klebten. Richtig eingesetzt, hinterlässt der Kleber keine Spuren, erklärte mir eine Engagierte darauf. (Ich frage für eine Freundin!)

Stolz höre ich heraus, wenn eine der Initiatorinnen davon erzählt, dass sie den Polizeigewahrsam in ihren Tagesablauf einplanen müsste, wenn sie sich auf die Straße klebt. Sie hat ein kleines Kind. Da bekommt die Sache mit der Vereinbarkeit eine ganz neue Dimension. Sie würden sich bewusst vormittags auf die Straße kleben, und lieber die Leute von der Arbeit abhalten, als von ihrem Feierabend, erfahre ich.

Ich sang am Ende der Veranstaltung, für die wohlig gestopften Münder und gefüllten Bäuche, nachdem das Buffet eröffnet wurde. Ich sag ja, alles nur Menschen! Eine Frau kam nach meinem Auftritt auf mich zu. Ihre Haltung fasst wohl sehr gut zusammen, wie es vielen gehen mag, die hierher gekommen sind und denen, die mit der “Letzten Generation” sympathisieren: Sie sei verzweifelt. Sie fühle sich allein mit ihren Ängsten und Sorgen bezüglich der aktuellen Prognosen, bei gleichzeitiger Ignoranz und Ablehnung gegenüber möglichen Maßnahmen zum Klimaschutz.

Gern möchte ich abschließend etwas Versöhnliches schreiben. Etwas, das für mehr Verständnis wirbt für diese Art von Protest: Die “Letzte Generation” , das sind Menschen, die sich Sorgen machen und die nach mehr Mündigkeit rufen. Es sind Menschen, die sich engagieren für eine Zukunft für Viele, anstatt Weniger, die glauben, sie könnten es sich leisten.

Sie geben Nadelstiche, den Alltag nicht als selbstverständlich zu nehmen, sondern uns an das Leben zu erinnern.

Dazu spielt: Das Leben ist…


… aber, oder, und… – Schreib mir gern deine Gedanken und Erfahrungen: info@janaberwig.de