Kartoffelsalat und Klopse
Kirche mal anders
Inzwischen fiebere ich nicht so sehr auf einen bestimmten Tag hin. Ich vermute keine Zielgerade mehr hinter einem bestimmten Datum, an dem sich alles in die eine oder andere Richtung entscheidend wenden wird. Sondern ich sehe einen weiteren besonderen Tag in meiner künstlerischen Laufbahn auf mich zu kommen. Vielleicht trifft es -Meilenstein- also besser. Die Abläufe sind bekannt, die Schritte und To-Dos habe ich in meinem Kopf aufgereiht und arbeite sie nach und nach ab, geprobt wurde außerdem ausreichend. Check! So finde ich Gelassenheit in diesem Prozedere und eine ausgeglichene Erwartungshaltung.
Am Vormittag des vorletzten Sonntags stellt sich dann doch ein leichtes Kribbeln ein – in Aussicht auf einen sicher sehr schönen Auftritt in meiner alten Heimat Horka – während ich die Gitarre einpacke und mich bereit mache für den Weg zum Berliner Ostbahnhof. Letzte Anweisungen gebe ich meiner Mutter durchs Telefon für das von ihr zubereitete Band-Catering – Kartoffelsalat und Klopse (ostsächsisch, für Bouletten): „Mutti, vergiss den Senf bitte nicht!“ Den hat sie längst eingepackt: „Ist schon dabei! Ich habe euch alles, inklusive Geschirr, in einer Kiste zusammengestellt.” Aber etwas anderes beschäftigt sie noch: „Hoffentlich kommen Gäste!“ Ein Schauer durchfährt meinen Körper. Sie spricht eine Sorge an, die ich in den letzten Jahren nur schwer abschütteln konnte. Ich frage nach, warum sie daran zweifelt: Zwei ihrer Freundinnen können wohl nicht kommen, eine dritte ist unsicher, ob sie mit ihrer noch leicht geschwollenen Backe nach einer kürzlich erfolgten Zahn-OP erscheinen kann… Ich lenke die Ausatmung auf meine Erfahrung, dass die beiden letzten Events in der Heimat immer gut besucht waren. Und beruhige meine Mutter: „Das wird schon, Mama!“
Am Bahnsteig treffen meine Bandkollegen Dirk Homuth, Thomas Hoppe und David Guy pünktlich ein. Auch für die Bahn selbst ist keine Verspätung gemeldet. Technik können wir vor Ort nutzen, auch ein Schlagzeug wird bereit gestellt, so dass wir nur die Saiten-Instrumente transportieren müssen und so die Zugoption nutzen können. Wenn ich selbst fahre mit dem Auto, vielleicht vorher noch einen anderen Kollegen samt Equipment einlade und einige Stunden Strecke vor mir habe, komme ich erschöpft am Auftrittsort an, mindestens angestrengt, bevor ich überhaupt den ersten Ton gesungen habe. Daher schätze ich solche Möglichkeiten wie heute, und weiß noch viel mehr, dass ich einen guten Job machen werde.
Mein Vater steht am Bahnhof bereit und kutschiert uns zur Kirche. Entgegen den früheren Ankündigungen wurden die musikalischen Aktivitäten nach drinnen, in die Kirche selbst, verlagert. Denn es ist Regen angekündigt. Das, was mich unter freiem Himmel im Kirchgarten kaum beschäftigt hätte, macht mich nun verlegen: Ob ich alles sagen darf innerhalb dieser heiligen Hallen? Und denke dabei an meine oft spontanen und unvorhersehbaren Ansagen zwischen den Songs. Eigentlich komisch, dass mir diese Frage in den Sinn kommt, da Kirchen durchaus häufiger als Spielstätten fungieren. Aber das ist schließlich mein Heimatort, der Pfarrer und die Kirchgemeinde hatten mich und meine Mitmusiker höchstpersönlich eingeladen. Eine ganz andere Verantwortung also!
Was dazu führt, dass ich mich erkundige, ob wir auf den Kirchbänken unser Catering schon essen dürfen. Pfarrer Schwäbe reagiert gelassen: „Gott sieht sowieso alles!“ Und fügt hinzu, dass auch bei der ein oder anderen Veranstaltung, die hier stattgefunden hat, Getränke und Speisen auf den Bänken verzehrt wurden. Und auch später werden hier Getränke und Bratwürste angeboten… Er bedankt sich für meine Umsicht. Wir bauen auf, machen Soundcheck, haben gar nicht mehr viel Zeit, denn ich höre sie schon, die wichtigsten Protagonisten des Geschehens: Unsere Gäste. Bereits eine halbe Stunde vor Veranstaltungsbeginn stehen die ersten vor der Kirchentür und warten auf Einlass. Es kommen schließlich über Hundert Menschen! 130, um genau zu sein… Die alle kommen, um mich zu hören und bereit sind, Eintritt zu zahlen. Wahnsinn!
Wie schon bei meinem Konzert vor 5 Jahren an diesem Ort, war es erneut überwältigend. Wenn die Performance, wie gebannt verfolgt wird, alles beklatscht, belacht und berührt wird. Dann kann ich mich nur verneigen und danke sagen!
Es ist schade, nur sehr wenig bis gar keine Zeit zu haben, mit den bekannten Gesichtern richtig ins Gespräch zu kommen. Sich auf neue Menschen einzustellen, die durch eine Zeitungsmeldung erreicht wurden. Alles adäquat zu kommentieren, sich ausreichend zu bedanken für die vielen warmen Worte und Komplimente, für das, was ich empfange, nachdem ich gegeben habe, gemeinsam mit meinen Bandkollegen. Eine kleine Anekdote möchte ich exemplarisch zum Besten geben:
In der Pause kommt eine ältere, zierliche Frau auf mich zu. Sie bedankt sich und sagt, sie würde sich für meine Texte interessieren. Ich antworte, dass ich leider kein Songbook hätte, ihr aber die Texte per Mail zusenden kann. Sie antwortet, dass sie keine E-Mail-Adresse hat und bittet, ob ich ihr die Texte per Post zuschicken würde. Ich war in dem Moment etwas überfordert und bat sie, das nach Ende des Konzerts zu besprechen. Nach dem Auftritt kommt sie direkt auf mich zu und drückt mir einen zusammengefalteten Zettel in die Hand, mit ihrer Adresse darauf. Sie sagt, dass sie sich freuen würde, wenn ich ihr die Texte zuschicken könnte. Es rattert in meinem Kopf, müsste ich sie nicht fragen, ob sie dafür etwas gibt, denn Porto ist zu bezahlen und den Ausdruck muss ich ja dann noch machen… Verwerfe diese Gedanken gleich wieder, ich wurde ja an diesem Tag selbst so reich beschenkt. Und sage einfach: Mach ich gern. Als ich zu Hause ankomme, entdecke ich, dass in dem Zettel ein 10 Euro Schein eingefaltet ist. Außerdem steht nicht nur ihre Anschrift, sondern auch persönliche Zeilen auf dem Stück Papier: „Liebe Jana, Danke vielmals und alles, alles Gute für Sie und Ihre Band. Und viel Glück, den Aufwachprozess der Menschheit voranzubringen.“
Mir fällt ein, dass ich den Pfarrer fragen muss, ob zwei Teller noch immer unter den vorderen Kirchsitzbänken stehen. Ich dachte, ich hätte alles vom Band-Catering vor dem Konzert weggeräumt und zusammen in die Kiste von meiner Mutter gepackt. Aber Pfarrer Schwäbe meinte, dass besagte Teller kurz vorm Konzertbeginn unter die Sitzbänke gestellt hätte, damit sie von den Galerieplätzen nicht zu sehen wären.
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Zum Reinhören oder auch Nachhören, teile ich mit euch gern einen Tonmitschnitt von 3 Songs aus dem Programm. Viel Spaß damit! Kartoffeln mit Quark – Girls United Bootcamp – Sie steht nicht still – Live in Horka 2023 mit Dirk Homuth (E-Gitarre), Thomas Hoppe (E-Bass), David Guy (Schlagzeug)
… aber, oder, und… – Schreib mir gern deine Gedanken und Erfahrungen: info@janaberwig.de