Schlechtes Gewissen im Sonderangebot
Über Verzicht und Sparen
Sparsam war ich noch nie. Entweder ich habe Geld – dann gebe ich es aus. Wenn ich weniger Geld zur Verfügung habe, dann kann ich weniger ausgeben. Nehme ich mir allerdings vor, zu sparen, dann merke ich, wie ich erst recht Geld ausgebe. Insgesamt rüttelt es sich meistens zurecht. Zum Glück! Beim Verzicht ist das ähnlich. Das bezieht sich bei mir vor allem auf die Alltagsdrogen, Wein und Zigaretten. Ansonsten habe ich keine Laster, würde ich von mir behaupten. Aber auch hier merke ich, je mehr Druck ich mir mache, ein bestimmtes Konsumverhalten abzulegen, desto mehr versage ich. Ich bin Typ… hoch und runter bis gemäßigt. Und wenn es sein muss, ist Verzicht auf jeden Fall drin.
Warum ich das schreibe? Na, Verzicht und Sparen, sind doch das neue Ding! Wir sollen verzichten, wir sollen sparen. Hören wir seit einiger Zeit die Ermahnungen der Regierenden. Es wird weiter erklärt, was wir aushalten müssten und was uns bevorsteht: Weiterer Verzicht, weitere Sparanstrengungen.
Wir können uns das nur schwer vorstellen. Die Regale sind nach wie vor voll, Sprit wird teurer, aber es wird gegengesteuert von der Regierung. Gut, kost‘ halt alles n bissl mehr. Wenigstens ein schlechtes Gewissen stellt sich ein, unterschwellig, mal vordergründiger, mal zurückhaltender. Daher wird noch mehr, eindringlicher, ermahnt und beschworen, regelmäßig und gebetsmühlenartig. Und ich spüre, wie ein unbestimmter Druck ins Unermessliche steigt, ohne dass Erleichterung in Sicht rückt. Dabei brauchen wir auch in Krisenzeiten Entlastungen. Ich meine, echte Entlastungen, nicht nur mehr Geld im Portemonnaie.
Denn im Grunde ist das mit dem Geld nur ein Vorschub. Das Erden-Konto wird knapper und wir sind schon längst in den Miesen. So war der Erdüberlastungstag für Deutschland bereits am 4. Mai erreicht. Das ist der Tag, an dem die Ressourcen für das ganze Jahr auf die Weltgesellschaft berechnet, aufgebraucht sind. Aber was folgt daraus? Nichts. Ach, doch: Weitere Warnungen und Ermahnungen. Appelle.
Und was sagt der individuelle Realitätsabgleich beim Blick aus dem Fenster? Auf den Straßen stehen die Autos Schlange. Die Parklücken sind gefüllter denn je. Neben den SUVs, sehe ich Liefertransporter. Kleintransporter. Zu den eigenen Autos gesellen sich die der Mietwagenfirmen, die Lieferdienst-Wagen sowie die Paketlieferdienst-Wagen. Und ich denke: Hatten wir uns nicht vorgenommen, weniger Auto zu fahren? Ich stolpere immer wieder über E-Roller – Mobile Müllhalde und neuer Gipfel der Wegwerfgesellschaft. So, als ob nochmal alles hochgefahren wird, bevor nichts mehr geht.
Was fehlt, ist nach wie vor eine andere Perspektive, eine echte Alternative. Darüber wird – leider – viel zu wenig gesprochen. Obwohl es diese Perspektiven gibt, wenn auch selten auf der großen Bühne, selten von Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern. Ein weiteres Problem, was ich bei dem Mahungswahn sehe: Es schürt die Angst, es macht Menschen starr und handlungsunfähig. Was, wenn uns wirklich eine Knappheit bevorsteht, sollten wir nicht überlegen, wie wir und was wir ändern müssten? Was sind die Vorschläge dazu. Damit wir gerüstet sind und die nötige Kraft haben, damit umzugehen, anstatt unsere ganze Energie in die schiere Angst zu verschwenden.
Ein simples Beispiel, aber für mich persönlich führte das zu einer Aha-Explosion: Ich war bei einer Bekannten im Garten, die meinte, sie hat beschlossen, die Pflanzen draußen nicht mehr zu gießen und zu schauen, welche erhalten bleiben. Anstatt die ganze Zeit zu beklagen, was wir verlieren, dass es hier und da fehlt, könnten wir anfangen, uns an die veränderten Bedingungen anzupassen, dämmert es mir. Ein weiterer Lichtblick ist ein Newsletter, von dem Berliner Weinladen “Samovino”. In den News geht es nicht nur ums Geschäft, der Besitzer reflektiert und teilt seine Gedanken zu den Widersprüchlichkeiten der Marktlogik und stellt die absolute Gewinnmaximierung in Frage. Er macht auch transparent, wie sein Geschäft arbeitet. Diese Inseln, wie weitere und Gespräche im Alltag, geben mir Hoffnung, das wir sehr wohl etwas bewirken können. Warum hängen wir das nicht an die große Glocke, anstatt eine Zeitenwende zu propagieren, ohne wirklich etwas zu ändern?
Dazu spielt: Alarmstufe Rot
… aber, oder, und… – Schreib mir gern deine Gedanken und Erfahrungen: info@janaberwig.de