Es kann sein, dass ich als Kind Fasching sehr schön fand. Jedenfalls gibt es diverse Fotos von mir, wahlweise als Dornröschen (mit einem selbstgenähten und -bemalten Kleid, in liebevoller Handarbeit hergestellt von meiner Mutter) oder als Matrjoschka. Später, als ich etwas aktiver selbst an den Verkleidungen mitwirkte, ging ich als Henker (mit einem selbst gebauten Holzbeil, in liebevoller Handarbeit hergestellt von meinem Vater), und besiegelte damit das Ende meiner Faschingskarriere.

Ich begann Verkleidungen blöd zu finden. Das wurde mir bewusst während meiner Studierenden-Zeit, als ich mit meiner damaligen Mitbewohnerin zu einer Faschingsparty eingeladen war. Ich erinnere mich, dass ich ordentlich Widerstand leistete, mich zu kostümieren. Allerdings gab es auf dieser Feier Verkleidungszwang. Meine Mitbewohnerin konnte mich schließlich zu einem blau-weiß-gestreiften T-Shirt überreden und sie malte mir einen Anker auf den Arm – für eine Ultra-Light-Version von Popeye.

Aber auch der Alltag als Studentin bot Gelegenheit, meinen Widerstand gegenüber Verkleidungen zu manifestieren. Im Rahmen meines Sozialwissenschaftlichen Studiums hatten wir die Möglichkeit, ein Praktikum bei einem Abgeordneten des Bundestages machen. Das war damals sehr angesagt und galt als vielversprechend für den Lebenslauf. Allerdings nicht für mich, denn ich beging einen grundlegenden Fehler gleich am ersten Tag: Ich erschien in Jeans und buntem Pulli in dieser Welt der Anzugträger. Das führte dazu, dass ich im dunklen Büroraum irgendwelche alten Akten durchlesen durfte. Total langweilig! Ich kann mich nicht erinnern, ob es ausgesprochen wurde, aber schnell war klar, dass weder mein Kleidungsstil noch meine Persönlichkeit hier gern gesehen waren.

Verkleidungen befremden mich schlichtweg. Mit wem habe ich es zu tun, mit einer Rolle oder einem echten Gegenüber? Das ist im Alltag schwer genug zu unterscheiden, denn wir verkleiden uns im Grunde jeden Tag, tragen Masken, schlüpfen in eine Rolle. Sei es die einer Frau, einer Tochter, einer Schwester. Einer Schülerin, einer Studentin, einer Angestellten. Einer Kundin, eines Fahrgasts usw. Verbunden mit Regeln über angepasstes Verhalten bzw. einem Rollen entsprechendem Verhalten. Welche Rolle willst du später spielen? Darüber habe ich lange gar nicht nachgedacht. Denn es gibt viele vorgelebte Rollen, die mensch gut nachahmen kann: Eine Ausbildung oder ein Studium absolvieren, einen Beruf ergreifen, eine Familie gründen. Und während diese Lebensstationen heranrückten, habe ich immer mehr gespürt, weder eine bestimmte Rolle bedienen zu wollen noch, dass ich mich verkleiden möchte. Und trotzdem profitiere ich von dem System der Rollen und Verkleidungen, sie geben einen Rahmen vor. Sie schaffen Halt und Orientierung. Selbst indem ich es nutze, um mich davon abzugrenzen. Und wenn sie nicht so stark dazu benutzt würden, bestimmte Menschen ab und andere aufzuwerten, hätte ich sicher meinen Frieden damit.

Jedenfalls – aber das ist eher eine retrospektive Betrachtung, denn lange war mir das nicht bewusst – wollte ich schon immer lieber einen Zugang zu mir selbst als Zugang zu einer Rolle. Und inzwischen bin ich angekommen – bei einem ich, dass sich im Innen wie im Außen authentisch anfühlt und einfach sein darf. Natürlich bin ich nicht frei von Rollen. Ich möchte ja ein Teil dieser Gesellschaft sein und bleiben. Aber mein selbständiges Leben, beruflich wie privat, räumt mir viele Spielräume ein. Haha. Gerade als Liedermacherin spüre und genieße ich, den Raum einzunehmen, wenn ich auf der Bühne stehe. Auch als Gesangslehrerin habe ich meine ganz eigene Art, und darf mich auch als Mensch zeigen. Es hat eine authentische Farbe und ich gestehe mir zu, nicht hinter einer Verkleidung zu verschwinden, sondern sie mit meinem Selbst auszufüllen.

Beim Blick hinaus in die Welt, nehme ich wahr, dass Rollenbilder und Masken immer mehr fallen gelassen werden. Hierarchien werden aufgebrochen, sogenannte Minderheiten werden laut, Menschen haben den Wunsch, selbstbewusst ihre eigene, authentische Rolle zu entwerfen. Unter anderem macht sich das auch durch einen ungewohnten Kleidungsstil bemerkbar. Es schafft zunächst einmal Unruhe, und ist durchaus anstrengend, denn es setzt Widerstände frei bei einem selbst und bei anderen und braucht einen langen Atem. Aber das gehört wohl zum Aufbruch dazu.

Heute bin ich übrigens zu einem Geburtstag eingeladen, auf dem die Gäste gebeten sind, eine rote Nase zu tragen. Zum Glück freiwillig. Das mit der Freiwilligkeit finde ich sowieso eine super Sache. Da habe ich viel mehr Lust, auch mal in eine bestimmte Rolle zu schlüpfen.

Dazu spiele ich… ein Cover: “Time after time”


… aber, oder, und… – Schreib mir gern deine Gedanken und Erfahrungen: info@janaberwig.de