Wir saßen ganz vorn! Dritte Reihe. Vor einer Woche – am 22. November – im ausverkauften Saal des Heimathafen Neukölln. Hätte ich das Zepter in der Hand gehabt, wären wir sicher erst kurz vor Veranstaltungsbeginn eingetrudelt und hätten uns mit einem Platz in den hinteren Reihen begnügen müssen. Doch meine Begleitung hatte vorgeschlagen frühzeitig da zu sein. Überhaupt: Sitzen. Ich war begeistert! Mein Freund belehrte mich, dass eine Lesung, die es ja im weitesten Sinne war, immer bestuhlt sei. Aber schließlich waren wir in einem Konzertsaal: Es hätte auch anders kommen können, gab ich zurück. Später stellte sich heraus, dass sogar eine Pinkelpause vorgesehen war… Es sind die kleinen Dinge, die die Kirsche auf der Sahne bilden. Mit Anfang 40 kann ich ohne Scham über solcherlei Annehmlichkeiten sprechen. Den Eintrittspreis fand ich fair. Unter dem Veranstaltungspost auf Instagram zur Live-Tour von „Geschichten aus der Geschichte“ wurde von einigen Menschen in den Kommentarspalten gegenteiliges behauptet. Ich war unterdessen froh, endlich wenigstens einen 35-Euro-Beitrag zu leisten, für ein Podcast-Format, das seit vielen Jahren frei zugänglich wöchentlich Folgen anbietet.

Diejenigen jedenfalls, die sich mokierten, hatten sich vermutlich vorab selbst aussortiert. Alles sehr friedliche Menschen im Publikum, die anstandslos Schlangen bildeten, sich weder vordrängelten noch meckerten. Genauso wie die beiden Gastgeber des Abends, die pünktlich um 20 Uhr die Bühne betraten und ihre Veranstaltung so begannen, wie sie stets ihren Podcast beginnen: Mit der Einspielung des Jingles und der gegenseitigen Vorstellung: „Mein Name ist Daniel“ und: „Mein Name ist Richard …“ – persönlich, bodenständig und sehr sympathisch. Ein Deutscher, ein Österreicher, beide Historiker, die zu bisher weniger beleuchteten Ereignissen der Geschichtsschreibung recherchieren und diese wiedergeben. Nur eine Sache war anders als in ihrer Sendung: An diesem Abend kannten beide die Geschichte, des jeweils anderen, die sie einander erzählen würden. Es waren „Geschichten aus der Geschichte“, die bisher nur in ihrem jüngst erschienenen gleichnamigen Buch veröffentlicht wurden.

Die Geschichten, die das Publikum zu hören bekam, wirkten fast harmlos, obwohl sie es mächtig in sich hatten, so wie ich es aus den Podcast-Folgen kenne: Daniel erzählte von einer Frau, die sich Anfang des 20. Jahrhunderts in der patriarchalen Gesellschaft ihre Sporen verdienen wollte. Anschließend berichtete Richard, wie die Entdeckung einer neuen Tierart dazu führte, dass diese, innerhalb weniger Jahrzehnte, vom Menschen ausgerottet wurde. Die Erzählweise ist beschreibend und bleibt oberflächlich, die Tiefe geht etwas unter in einer recht breiten Einordnung der Ereignisse in scheinbar längst vergangene Zeiten. Unterstrichen wurde das visuell durch das Standbild eines Baby-Blaufuchses, das die Pause einläutete.

Im zweiten Teil wirkten die Podcaster entspannter, vermutlich erleichtert, ihre Pflicht-Referate erfolgreich gemeistert zu haben. Sie hatten Wissensfragen vorbereitet zu einzelnen Folgen ihres Podcasts. Die Antworten waren Aufhänger für weitere Geschichtsschlaglichter und Einblicke in die Arbeit der beiden. Sie rannten mit dem Mikro durch die Sitz-Reihen für die richtigen Publikums-Antworten und wir waren so noch näher dran an den Machern. Das ist sicher einer der Punkte, warum dieser Podcast so erfolgreich ist.

Ein weiterer Punkt: Wie der Podcast so ist auch die Bühnenperformance nicht perfekt. Ich habe den Eindruck, dass ich den beiden zusehen kann, beim Entwickeln, beim Ausprobieren, beim Wachsen. Genauso wie sie den Podcast vor acht Jahren ohne großen Plan einfach angegangen sind – erzählen sie ihre eigene Geschichte – machen sie es bei ihrer ersten Live-Tour wohl genauso. Sie haben Mut zu Fehlern, Mut zur Lücke. Kein falscher Stolz, sondern Transparenz und Offenheit läuft für mich im Subtext mit.

Richard und Daniel auf der Bühne des Heimathafen Neukölln

Etwas Fahrt nahm die Bühnenperformance auf, als Richard seine geöffnete Wasserflasche auf den kleinen Tisch an Daniels Laptop stellte und Daniel sie gespielt(?) empört wieder auf den Boden stellte, um sein technisches Gerät nicht zu gefährden. Diese Situation wiederholte sich noch einmal. Da wurde der Faden des Feel-Good-Szenarios kurz abgelegt und der zum Slapstick aufgegriffen und zeigt: Da ginge mehr Biss. Ansonsten fehlten verbale Ecken und Kanten, doch ich habe auch nicht danach gesucht, genauso wenig wie nach politischen Statements oder aktuellen gesellschaftlichen Einordnungen der Geschichten. Das macht es so wohltuend hinzuhören: Wir werden nicht belehrt von Richard und Daniel. Trotzdem habe ich den Eindruck, dass sie einen Anspruch haben und viel lehren, durch ihre eigene Art und die Auswahl der Themen.

Das dreistündige Programm bietet eine Oase in einer Zeit, die sich ständig versucht selbst zu überholen: Ich kann einfach den warmen Männer-Stimmen lauschen, die sich angenehm unwichtig nehmen. Ich erfahre von interessanten Geschichtsereignissen. Ich spüre, dass die Themen einen sehr aktuellen Kontext haben können und ich mit diesem Bezug arbeiten kann. Das bleibt dem Publikum des Live-Auftritts sowie den Hörerinnen und Hörern des Podcasts „Geschichten aus der Geschichte“ überlassen.

Dazu spielt “Astronaut”:


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