Kurz nach Neujahr rief ich eine ältere Bekannte an, um ihr für das neue Jahr alles Gute zu wünschen. Wir erzählten ein bisschen und sie fragte mich, ob ich noch andere Leute träfe, mit dem Kommentar, dass das ja sehr gefährlich sei bei der aktuellen Situation. Bei diesem Thema bin ich sehr dünnhäutig und wenn ich mich sehr in die Enge gedrängt fühle, reagiere ich etwas gemein, zugegeben. An dem Tag war ich sehr dünnhäutig und fühlte mich sehr in die Enge getrieben. Ich antwortete also, dass ich natürlich andere Menschen treffen würde und auch muss, schon als Überlebensstrategie, oder ob sie denn wolle, dass ich irgendwann horizontal aus meiner Wohnung getragen werde. „Also, das ist wirklich verletzend“, entgegnete sie mir. „Wie kommst du darauf, dass ich will, dass du stirbst! Du weißt, ich will schon lange sterben und du…“ Das war absurd. Aber wir kennen uns gut genug, dass ich damit umzugehen weiß. Ich entschuldigte mich und sagte, ich wollte sie damit nicht verletzen, sondern verdeutlichen, was eine Kontaktlosigkeit für mich persönlich bedeuten würde. Ich fügte hinzu, wie verwunderlich ich ihre Angst einer möglichen Corona-Erkrankung empfände, wo sie mir doch, nicht zum ersten Mal sagte, dass sie ihr Leben nur noch dulden würde. Sie entgegnete mir: „Nun ja, der Mensch ist nun mal voller Widersprüche.“

Widersprüche. Sie breiten und türmen sich momentan aus und auf, spalten die Menschen, in sich selbst wie im Miteinander. Weil mensch derzeit stark von außen geführt wird – durch Beschränkungen und Verordnungen – und doch mehr denn je sich selbst überlassen ist in der Zurückgezogenheit: mit den eigenen Gedanken und Gefühlen, Wünschen und Ängsten.

Über die Situation in Krankenhäusern und Pflegeheimen denke ich nach, ich stelle mir Kranke und Alte vor, die wochenlang allein in ihren Zimmern liegen, ohne ein vertrautes Gesicht, eine liebevolle Berührung, die heilsam wäre und Zuversicht schenken könnte. Ich denke auch an das Kranken- und Pflegepersonal, die am Limit sind, vielleicht sogar trotz einer Virus-Infektion arbeiten (müssen), aufgrund von Personalmangel. Ich denke an das Geschehen auf den Straßen, wo die Idee der Kontaktbeschränkung dadurch ad absurdum geführt wird, dass Menschen auf die Straße geschickt werden, um andere Menschen zurechtzuweisen, die zu mehreren zusammenstehen. Ich denke daran, dass Home Office eingeführt wird, aber bestimmte Berufe von sich aus, nur im Kontakt mit Menschen möglich und nötig sind, neben Krankenhaus- und Pflegepersonal, fallen mir Angestellte in der Paketzustellung oder im Supermarkt ein. Ich denke auch an die, die aufgrund der Kontaktbeschränkungen nicht arbeiten dürfen und sich fragen, wovon sie zukünftig leben sollen. Mir fällt ein dazu, dass die sehr ansteckende Mutation des Virus aus dem Ausland anscheinend eingeschleppt wurde, wo doch hier so viele Menschen schon seit Monaten die Regeln gewissenhaft ein- und ihren Bewegungsradius klein halten.

Anscheinend ist es nicht aufzuhalten, denke ich dann. Leben ist auch immer ein Jetzt, es gibt keinen Pause-Knopf und es kann nicht alles verhindert werden.

Zum Glück geht es mir wieder besser. Es gibt kleine Dinge, die meinen Alltag bereichern, auch wenn ich mich in der Zurückgezogenheit eingerichtet habe und es mir hier und da schwerfällt, mich aufzuraffen. Ich nehme mir jeden Tag einen Kontakt mindestens vor, mit ausgiebigen Gesprächen und Spaziergängen. Die ein oder andere Umarmung war in den letzten Wochen auch drin. Und ich bin froh, dass ich nach wie vor einen Zusammenhalt spüre, auch wenn vieles auseinanderbricht.


… aber, oder, und… – Schreib mir gern deine Gedanken und Erfahrungen: info@janaberwig.de